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Angst Neuapostolisch Ausstieg Kirche

Neuapostolische Kirche Ausstieg
Ich hatte panische Angst vor dem Ausstieg

Inka S.*

Einleitung

Inka S. hatte eine fast normale Kindheit, wenn da nicht die Sonntage gewesen wären. Inka S beschreibt seh eindrücklich ihre Kindheit und ihre Jugend in der Neuapostolischen Kirche. Sie war neuapostolisch und hatte zeitweise panische Angst vor dem Ausstieg aus der Kirche, obwohl sie ‚Ja‘ zu Jesus gesagt hatte. Heute ist sie sehr froh darüber, dass sie diesen Schritt gegangen ist.

Meine Kindheit war fast normal, bis auf die Sonntage

Ich bin nicht nur in einem neuapostolischen Elternhaus aufgewachsen, sondern auch in einer kompletten Neuapostolischen Verwandtschaft. Trotzdem hatte ich eine fast völlig normale Kindheit, mit Fernseher, Klassenkameraden als Freunde, Geburtstagspartys und sonstigen Dingen, die man als Kind halt so macht. Bis auf die Sonntage war fast alles normal. Mittwochs gingen meine Eltern aus beruflichen Gründen nicht in die Kirche.

„ … Immer fröhlich, immer fröhlich, fröhlich lasst uns immer sein!“ – Kinderlied der Neuapostolischen Kirche

Der Sonntag war der von mir am wenigsten beliebteste Tag und ich erinnere mich noch gut an mein jahrelanges schlechtes Gewissen wegen meiner innerlichen Ablehnung diesem Tag gegenüber. Denn, so wurde es mir beigebracht, Gotteskinder freuen sich stets auf den Sonntag und die damit verbundenen Gottesdienstbesuche. Bis zu meiner Konfirmation 1998 war es üblich noch vor- und nachmittags den Gottesdienst zu besuchen. Meine nicht wirklich aufkommende Freude wurde von einer Art Ritual in meiner Familie an Sonntagnachmittagen nicht gerade gehoben. In alten und dreckigen Hosen ging es von dem schönsten Spiel mit den Nachbarskindern häufiger aus der im Wald gebauten Bude pünktlich um 15 Uhr nach Hause.

Die Verwandlung in ein süße, braves Mädchen

Dort wurden die Hosen gegen ein süßes Kleidchen und Lackschuhe getauscht. Aus dem wilden, jungenhaften Mädel musste in 15 Minuten ein süßes, braves Mädchen gemacht werden, dass ab 15.45 Uhr in der Kirche still sitzen sollte und das natürlich gerne in die Sonntagsschule ging. Das alles während alle anderen Kinder weiter spielen konnten. Wurde ich von den anderen Kindern gefragt, ob ich denn gerne zur Kirche gehen würde, schluckte ich meine Scham für meine nicht vorhandene Freude über die Gottesdienstbesuche meist runter und bejahte die Fragen, da ich Angst davor hatte, dass Gott sonst böse mit mir wäre und mich nicht mehr lieb haben könnte. So ging das jahrelang. Nur, dass ich mir verkleidet und falsch vorkam. Mein Gottesbild setzte mich unter enormen Druck. Das spielte keine Rolle, wohl weil es auch niemand mitbekam.

Angst vor dem Stammapostel

Das schlimmste war für mich jedoch ein Besuch des Stammapostels als ich acht Jahre alt war. Als achtjährige hatte ich panische Angst davor, dass er, wenn er mich sehen würde, erkennen könnte, dass ich häufig mit wenig Freude in das Haus Gottes ging. Es war ja nicht nur schlecht dort, meistens aber doch sehr langweilig für mich als Kind. Auch die Sonntagsschule oder der Religionsunterricht, die parallel zum Nachmittagsgottesdienst stattfanden, waren zwar besser als der Gottesdienst, aber halt doch, ähnlich wie Schule. Sie waren damit keine wirkliche Alternative zum Spielen im Wald. Eine Sünde beging ich sowieso durch das innere Ablehnen der Gottesdienstbesuche, aber die Vorstellung, dass der Stammapostel das durch den Heiligen Geist sehen würde und meinen Eltern erzählen könnte, war noch viel schlimmer als alles andere.

Ich weiß, kein Neuapostolischer liest das gerne. Ich will auch nicht behaupten, dass man mir das genau so als Kind erzählt hat, aber es war für mich das, was bei allem rauskam, das was mein Gottesbild als Kind ausmachte und was nur durch die NAK und meine Eltern erzeugt worden sein kann, da ich zu dieser Zeit keine erwähnenswerte weitere Kontakte zur christlichen Lehre hatte. Gott liebt, aber ich muss dafür einiges tun, sonst straft er, das war mein kindliches Verständnis. Heute weiß ich, dass dieses Bild nicht nur ich hatte. Bei vielen Neuapostolischen spiegelt sich dieses Gottes und Glaubensbild so oder so ähnlich wider.

Was, wen Die Neuapostolische Kirche doch nicht recht hätte?

Durch diese Erfahrung kam in mir vielleicht schon in der Grundschule die Frage danach auf, was denn eigentlich wäre, wenn die Neuapostolische Kirche doch nicht recht hätte. Denn der Stammapostel sah natürlich nicht mein „böses inneres“. Immer öfters fragte ich mich schon damals, ob es nicht sein könnte, dass eine andere Kirche recht hat. Natürlich blieb es als Kind nur bei dem inneren Gedanken, denn den Eltern und anderen Bezugspersonen glaubt man ja letztlich doch.

„… Wenn wir uns von ihm abwenden, wird es finster um uns her, unser Gang ist nicht mehr sicher, und das Herz von Freuden leer…“ – Kinderlied der Neuapostolischen Kirche

Meine Jungendzeit

Wie schon erwähnt wurde ich im Allgemeinen wie andere Kinder auch erzogen und so durfte ich mit dreizehn Jahren mit einer Klassenkameradin auf eine Sommerfreizeit vom CVJM fahren.

Freiheiten, die andere Jugendlich der NAK nicht hatten

Da meine Eltern der Meinung waren, dass andere christliche Kirchen sowieso vom Glauben her „tot“ seien, hatten sie ja nichts zu befürchten in Bezug auf christliche Lehren, die für mich als neuapostolisches Kind nicht gut sein könnten. Doch sie wurden eines Besseren belehrt. Ich erlebte auf dieser Freizeit das erste Mal, was es heißen kann zu Glauben; Liebe, Sehnsucht nach Gott, eine persönliche Beziehung zu ihm haben können, Christen, denen man den Unterschied zu anderen Menschen anmerkt, das Gebet aus dem Herzen heraus und nichts aus Druck, Zwang oder Angst! Damals war ich extrem beeindruckt und merkte wie ich innerhalb der Freizeit in Bezug auf den Glauben richtig aufblühte.

Ich wollte zu Gott ‚Ja‘ sagen

Als ich damals nach Hause kam, begann der Konfirmandenunterricht in der NAK! Auf der einen Seite wollte ich mich konfirmieren lassen, weil ich ‚Ja‘ zu Gott sagen wollte. Auf der anderen Seite nutzte ich den Unterricht jedoch, um mehr über die Lehre der NAK zu erfahren. Ich wollte mir ein eigenes Bild über die NAK verschaffen. Ich ließ mich konfirmieren, aber nur, weil in dem Gelöbnis, dass ich Gott an diesem Tag aus vollem Herzen gab, nicht explizit für mich vorkam, dass ich der NAK ein Versprechen gab.

Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, wohin es für mich gehen würde, aber ich ließ mir schon da innerlich die Möglichkeit offen, für mich eine andere Wahrheit als die NAK zu finden. In den folgenden vier Jahren schloss ich mich dieser Jugendgruppe an, mit der ich zu dem Ferienlager fuhr, wurde dort ehrenamtliche Mitarbeiterin, fuhr immer wieder auf Freizeiten und stellte mich damit natürlich gegen das, was meine Eltern gern gesehen hätten. 

Ich lebte mein Leben in der NAK vorerst weiter

Auf einer von den vielen weiteren christlichen Ferienlager fasste ich mit 16 Jahren den endgültigen Entschluss, dass die NAK für mich nicht die Wahrheit besitzt und somit nicht die Kirche Gottes ist, auch wenn die Angst vor einem Irrtum meinerseits trotzdem riesig war. Auch aus diesem Grund brauchte es von da an noch drei weitere Jahre, bis ich den Schritt der Konvertierung nicht nur innerlich, sondern auch praktisch schaffte.

Alles, was ich in der Jugendgruppe, in der ich nun fest mitarbeitete, machen wollte, brachte selbstverständlich immer den Gedanken mit, wie ich das Zuhause erlaubt bekäme. Letztlich aber bekam ich das meiste entweder heimlich oder mit Kompromissen doch zu Hause durch. 

Um irgendwie einigermaßen den Schein zu wahren, lebte ich, bis ich 17 war, trotzdem mein Leben als NAK-Jugendliche so gut es ging weiter. Das war der Kompromiss, den ich zwar nie so benannte, der mir jedoch meine Freiheit gab und mich zugleich innerlich kaputt machte. Ich arbeitete sogar ein halbes Jahr als Helferin in der Sonntagsschule mit, um meine Eltern nicht noch mehr gegen mich zu bringen und somit eventuell meine Freiheit zu der Jugendgruppe und damit meinen Halt in dieser Zeit ganz zu verlieren!

Ich hatte panische Angst vor dem Austritt

Der Grund warum ich noch so lange blieb, war meine panische Angst vor dem Austritt. Und immer ging die Angst mit, was wenn die NAK doch recht hat und ich gerade die schlimmste Sünde meines Lebens beginge, durch mein Zweifeln und prüfen. Ich hatte Angst vor der Strafe Gottes.

Außerdem schwebte mir immer eine Mitte der 90er ausgestrahlte Folge einer Talkshow im Kopf herum, in der ausgetretene NAK Mitglieder die NAK beschuldigten, sie tyrannisiert und verfolgt zu haben.

Ich hatte panische Angst davor, meine Familie zu verlieren, verfolgt und tyrannisiert zu werden, Argumenten der NAK in Diskussionen über mein Vorhaben auszutreten nicht standhalten zu können und somit bleiben zu müssen. Noch nie hatte ich von jemandem gehört der aus der NAK ausgetreten war, bis auf die Leute aus dieser Talkshow. Ich war der Ansicht, ich wäre wohl die einzige die aufgrund eines brennenden Herzens für Jesus aus der NAK austreten wollte, ich kam mir so unnormal vor!

Selbstständigkeit und Eigenverantwortung

Das Gespräch mit den „Segensträgern“

Erst mit fast 19 Jahren schaffte ich es dann meinen Eltern mein Vorhaben zu eröffnen. Ich kann mich noch heute genau daran erinnern, wie ich mit meinen Eltern und zwei Amtsbrüdern in unserem Wohnzimmer saß. Auf ein Gespräch vor meinem Austritt bestanden meine Eltern nämlich. Damals kam ich eben nicht gegen ihre Worte an. Ich war in dem Gespräch einfach wie gelähmt, ich wollte meine Eltern nicht bloßstellen und endlich Ruhe haben. Ich konnte damals vieles theologisch einfach nicht exakt begründen, aber im Herzen war mir auch so total klar, was ich warum nicht glauben konnte. 

Die Zeit nach dem Austritt war dann aber viel besser als erwartet hatte. Bis mein Austritt tatsächlich die Runde machte, dauerte es eine Zeit, da meine Eltern mit niemandem darüber reden wollten. Ich weiß bis heute nicht wer aus der Verwandtschaft es letztlich wann und wie mitbekommen hat. Es ist ein Thema, über das bislang nicht gesprochen wird. Niemand fragt, meine Verwandtschaft umgeht zum Großteil alles, was mit dem Thema NAK zu tun hat. Wirkliche Gespräche mit meinen Eltern über meine Ansichten zur NAK fingen erst lange nach meinem Austritt an. Vorher war die Verletzung bei meinen Eltern zu groß, denk ich und auch mein Abstand zu dem Thema war lange nicht groß genug um einfach und offen darüber mit NAK-Mitgliedern zu reden.

Ich möchte alle ermutigen, die Lehre der NAK zu prüfen

Erst vor 2 Jahren fing ich durch das Internet und durch Bücher an, mir die Informationen über die Lehre der NAK zu besorgen, was ich damals nicht in alle Details konnte, einfach auch aus seelischer Zerrüttung nicht. Hätte ich zwischen 1999 und 2002 Internet gehabt und von den Möglichkeiten gewusst, hätte ich mir viel Schmerz und Angst sparen können.

Ich bin sehr froh, dass ich diesen Schritt gegangen bin. Ich denke heute, ich hätte ihn sogar noch eher gehen sollen. Mit den Möglichkeiten des Internets und dem Wissen, dass ich nicht die Einzige bin, die aus einer Glaubensüberzeugung die NAK verlässt, wäre ich wohl schon mit 16 ausgetreten. Alle Mitglieder der NAK insbesondere die Jugendlichen, möchte ich hiermit ermutigen; prüft, ob ihr die Lehre der NAK für euch unterschreiben könnt und prüft es für euch, nicht mit den Worten der Amtsträger. Gerade die Stellung der NAK zum Heiligen Geist, die Sündenvergebung und das Leben nach dem Tod, prüft, ob ihr hinter der Lehre stehen könnt!

Wenn das nicht so ist, sollte man meiner Meinung nach ehrlich sein. Ich hatte immer das Gefühl, ich verleugne die Wahrheit Jesu, indem ich noch der NAK angehöre. Jesus ist vor 2000 Jahren für dich und mich gestorben. Das war alles, was wir brauchen, um vor Gott bestehen zu können. Nichts weiter, wir müssen nur an Jesus, Gottes Sohn glauben und ihn annehmen. Wer das auch so sieht, aber Mitglied der NAK bleibt, verleugnet meiner Meinung nach die frohe Botschaft von Jesus.

Ich bin Gott und meinen Eltern dankbar

Früher hab ich Gott oft gefragt, warum er mir diese schwere Bürde auferlegt hat, mich so gegen meine Familie stellen zu müssen und so für meinen Glauben kämpfen zu müssen.

Heute bin ich meinen Eltern dankbar, für eine christliche Erziehung. Auch, wenn sie in meinen Augen Fehler gemacht haben. Anders hätte ich vielleicht nie den Weg zu Gott gefunden. Sie haben stets alles gut gemeint. Heute danke ich Gott, dass ich diesen Weg gehen musste und durfte. Es hat mich enorm gestärkt und erwachsen gemacht. Heute denk ich, es war einfach mein Weg. Gott hat bestimmt noch viel vor mit mir. Heute verstehe ich mich mit meinen Eltern und mit meiner Verwandtschaft sehr gut, obwohl es in Fragen über den Glauben Unterschiede bei uns gibt.


* Namen und Orte wurden geändert!

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