Anselm
Jörg* war gerade 25 Jahre alt, als er zum ersten Mal einen neuapostolischen Gottesdienst besuchte. Eigentlich wollte er an diesem Sonntag in die Evangelische Landeskirche gehen. Doch seine neue Freundin bat ihn mit in ihre Kirche zu kommen. So ging er mit, um ihr einen Gefallen zu tun und um sie nicht vor den Kopf zu stoßen. Eine Sehnsucht nach Gott hatte Jörg eigentlich immer schon. Früh hörte er durch eine gläubige Religionslehrerin in seiner Schule die Geschichten von Jesus. Diese Erzählungen aus der Bibel ließen ihn nicht mehr los. Jahre später ging er in den Konfirmandenunterricht seiner Evangelischen Kirche. Hier fesselte ihn nichts mehr. Der Pfarrer, der den Religionsunterricht hielt, schien selbst nicht an die Bibel zu glauben.
Sein Unterricht erschöpfte sich in Appellen an die Mitmenschlichkeit. Aber Jesus als Sohn Gottes? Als Auferstandener von den Toten? Das war angeblich nicht mehr, als eine schöne Legende. Jörgs Kinderglaube bekam einen schweren Dämpfer. War das alles nur ein Märchen, was dort in der Bibel stand? Sollte das alles nicht wahr sein, was seine frühere Lehrerin da glaubte? Jörg war irritiert und tief traurig. Der kindliche Glaube an Jesus, der ihn damals als Kind so erfüllte, schien zu zerbrechen.
Wie schade, dachte er, dass das alles mit Jesus nicht stimmte. „Wozu?“, sagte er sich, sollte er dann noch im Konfirmandenunterricht Bibelverse auswendig lernen, wenn diese sowieso nur aus der Fantasie menschlicher Gehirne stammten? Wozu überhaupt noch an die Bibel glauben, wenn Gott nicht ihr Urheber ist? Da tun es auch die Appelle der Humanisten, die ohne die Bibel ausgekommen sind. Jörgs Kinderglaube zerbrach. Doch seine Sehnsucht nach Wahrheit blieb. Sie blieb ganz tief in seinem Herzen, wenn auch nur unbewusst. Zwar war sie tief verschüttet, aber sie blieb. Gott wird den glimmenden Docht nicht auslöschen, heißt es einmal im Alten Testament.
Die Jahre vergingen. Jörg lernte Bankkaufmann und hatte in seiner Berufsausbildung großen Erfolg. Er schloss seine Lehre mit Auszeichnung ab und konnte schon früh einiges vorzeigen. Er konnte stolz sein auf seinen beruflichen Erfolg. Eigentlich habe ich alles, was ich mir wünschen kann, dachte er. Beruflichen Erfolg, eine schöne und sichere Stelle in angesehener Position. Dazu ein elegantes Auto und für eine Eigentumswohnung reichte es auch. Er konnte rundum zufrieden sein mit sich selbst. Wer in seinem Alter hatte es schon so weit gebracht? Und er war auch zufrieden und glücklich mit sich selbst – für eine gewisse Zeit. Irgendwann jedoch spürte er, dass ihn dieses Leben auf die Dauer nicht ganz befriedigte. Woran lag das nur?
Hatte er nicht alles, was er sich wünschte? Warum dann jetzt diese innere Leere, diese innere Hohlheit, die ihn nun überfiel? Er wusste es nicht. Sicher liegt es daran, so sagte er sich, dass er noch nicht genug Erfolg im Beruf hatte, noch nicht genug Geld verdiente, noch eine größere Wohnung brauchte, ein besseres Auto, um den Zustand des erfüllten Lebens wiederzuerlangen. Aber das wusste Jörg auch schon längst, dass die Reichen dieser Welt durch ihren Reichtum auch nicht glücklicher wurden.Was die für Probleme haben, die wollte er nicht teilen.
Das haute also nicht hin. Das konnte nicht der Weg zu einem erfüllten, glücklichen Leben sein. Er versuchte es auf einem anderen Weg. Mit fern-östlicher Meditation. Diese würde ihm bestimmt seine innere Leere ausfüllen. Er besuchte Yogakurse und verschlang die Literatur berühmter indischer Yogis. Doch all das konnte seine innere Leere nicht beseitigen. „Wonach?“, fragte er sich, suchte er nur? Was trieb ihn umher?
Eines Tages saß Jörg im Wartezimmer seines Zahnarztes. Er blätterte gedankenverloren in einer Illustrierten. Da sprang ihm ein fett gedruckter Vers ins Auge, der ihn traf wie ein Blitz: „Unser Herz kommt nicht eher zur Ruhe, bis das es ruht in Gott“ (Augustinus-Kirchenvater). Das war es, dachte er. Gott! War es nicht Gott, nachdem er suchte? Ihn müsste man finden, ihm begegnen. Aber wie? Er wusste es nicht.
Und dann, eines Nachts, konnte er nicht schlafen. Immer wieder ging ihm der Ausspruch des Kirchenvaters Augustinus durch den Kopf. Er stand auf, zog sich an und ging aus seiner Wohnung auf die Straße. Es war mitten in der Nacht. Über ihm zog sich das Band der Milchstraße am sternenklaren Himmel entlang. Ehrfurcht und Staunen überkam ihn, als er so nach oben schaute. Das soll alles von selbst entstanden sein, wie ihm seine Biologie- und Physiklehrer immer erzählt hatten? Unmöglich! Dieses herrliche, unbegreifliche Universum musste einen intelligenten Schöpfer zum Urheber haben.
Warum aber nimmt er keinen Kontakt mit uns Menschen auf? Weshalb hüllt er sich in Schweigen, fragte er sich. Warum nur, lässt Gott nichts von sich hören? Er müsste doch ein Interesse daran haben mit uns Menschen in Kontakt zu treten, wenn er uns geschaffen hat. Jörg war aufgewühlt. Wie nur konnte er zur Ruhe kommen, eine Antwort finden auf seine Frage nach Gott? Die Bibel, dachte er. Sollte die Bibel doch Gottes Buch an die Menschheit sein, wie es seine frühere Religionslehrerin immer glaubte? Und wenn sie es nicht ist?
Und nun saß er neben seiner Freundin, im Gottesdienst der Neuapostolischen Kirche. Er hatte sie auf einer Arbeitssitzung seiner Bank kennengelernt. Jörg hörte dem Pastor willig zu. „Nein, er heißt nicht Pastor“, flüsterte seine Freundin ihm leise ins Ohr. „Es ist ein Bezirksevangelist. Er spricht gerade davon, dass in drei Wochen hier in unserer Kirche eine Versiegelung stattfinden wird und dazu ein Apostel hierher in den Gottesdienst kommt.“ „Gibt es denn noch Apostel?“, fragte Jörg? Silke* erklärte Jörg, weshalb Apostel nach ihrer Meinung nötig seien und im Laufe der Zeit weihte sie Jörg immer mehr in ihren Neuapostolischen Glauben ein.
Schließlich drängten ihn Silkes Eltern, er solle sich doch endlich versiegeln lassen und in der Neuapostolischen Kirche Mitglied werden. Da könnte Gott ihn doch gut gebrauchen. Er könnte dort mit seinen Fähigkeiten sicher eine große Karriere machen. Vielleicht würde er sogar aufsteigen zu einem großen Amt. Vielleicht sogar zum Apostelamt! Das wäre doch etwas. Das klang verlockend, doch Jörg zögerte. War es das, was er suchte? Ansehen vor Menschen? Das hatte er ja im Beruf genug. Und konnte das seine brennenden Fragen nach Gott beantworten? Nein, es musste etwas anderes sein, wonach er suchte. „Unser Herz kommt nicht zur Ruhe, bis das es ruht in Gott!“ Immer wieder ging ihm dieser Ausspruch Augustin’s durch seinen Kopf.
Nun fing Jörg an selbst in der Bibel zu lesen. Nun wollte er es genau wissen. Er nahm sich das Johannesevangelium vor. Es war ein Vers, der ihn erneut in Erstaunen versetzte. Johannes schreibt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott“. (Kap. 1, 1-2) Dann Vers 14: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte mitten unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“. Jörg war tief berührt. Wenn das stimmt, was hier steht, so dachte er, dann hat Gott sich ja gezeigt! Dann ist er ja aus seiner, für uns unzugänglichen Dimension in unsere Dimension hineingekommen, und zwar durch und in Jesus!
Und wenn das Wort Gott ist, wie der Apostel Johannes hier schreibt, und dieses Wort Fleisch wurde, also in unsere menschliche Gestalt hineinkam, dann ist ja Gott Mensch geworden. Das heißt ja, dass Jesus Gott in Menschengestalt war und dieser Gott sich durch Jesus uns Menschen zeigte, sich uns offenbarte, wie es so schön heißt. Dann ist Gott ja nicht in der Verborgenheit irgendwo hinter den Sternen geblieben. Dann hat er ja sein Schweigen gebrochen und Kontakt zu uns Menschen aufgenommen. Er hat dann ja zu uns geredet, in und durch Jesus! Jörg war wie erschlagen. Ihm wurde fast schwindlig bei diesen Gedanken. Nie zuvor hatte er solches gelesen, mehr noch: Nie zuvor hatte er die Konsequenzen dieses Bibelwortes in dieser Tiefe erkannt. Nun wurde es für ihn spannend.
War Jesus die Antwort auf alle seine Fragen? Er musste mehr wissen über Jesus. Wie ein Verdurstender las er nun das ganze Neue Testament wie in einem Atemzuge durch. Und ein Licht nach dem anderen ging ihm auf über Jesus. Da schreibt Johannes in seinem ersten Brief: „Wer Jesus hat, der hat das Leben. Wer Jesus nicht hat, der hat das Leben nicht.“ Jörg überlegte. Hatte er Jesus? Wie kann man Jesus haben? Und wie bekomme ich Jesus, wenn doch ohne ihn keiner das Leben – das ewige Leben! – hat? Er musste Jesus haben, das war es, was er brauchte. Jesus! Hatte er nicht schon in seinen Kinderjahren diese wundersame Sehnsucht nach Jesus gehabt, als er die Geschichten über Jesus aus dem Munde seiner Lehrerin hörte? Wie aber bekomme ich Jesus und durch ihn das Leben?
Die alte Sehnsucht nach Jesus brach wieder in ihm auf. Er fing an mit Gott zu reden. Zunächst nur in Gedanken. Ob es im Bus war, in der Bahn, zu Hause oder an seinem Arbeitsplatz, immer war da die Sehnsucht nach Jesus in seinem Herzen. Aber auch die Aussage: „Wer Jesus nicht hat, der hat das Leben nicht!“ Jörg bekam Angst. Wie, wenn ich jetzt sterbe, und ich Jesus nicht habe? Wie, wenn ich ohne Jesus in die Ewigkeit gehe? Dann habe ich das Leben, das ewige Leben nicht! Schrecklicher Gedanke, dachte er und schob ihn zunächst weit von sich. Doch Jörg war mutig genug sich diesem Gedanken nicht zu entziehen, ihm nicht feige auszuweichen.
Alles, was uns von Gott trennt, ist unsere Sünde, so las er immer wieder in der Bibel. Aber genau deshalb sei Jesus gekommen, um unsere Sünde auf sich zu nehmen. Jörg war verzweifelt: Wenn ich wegen meiner Sünde von Gott getrennt bin und ich heute, ohne Jesus zu haben, sterbe, dann bin ich vor einem heiligen Gott, der meine Sünde richtet, ewig verloren. Ich gehe direkt in die Hölle. Das war ihm ganz klar. Und wenn tausend Leute ihm das Gegenteil gesagt hätten, hätten sie ihm diese Gewissheit seiner Verlorenheit nicht ausreden können. In seiner Not schrie Jörg zu Gott: „Oh Gott, lass mich nicht verloren gehen. Bitte sag mir doch, wie ich das ewige Leben erlangen kann.“ Seine Augen waren noch voller Tränen, als er Hilfe suchend nach seiner Bibel griff. Er schlug das Neue Testament irgendwo auf und las: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn dahingab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.“ – Joh. 3, 16
Jörg fasste es nicht. Was las er da? Auf das alle, die an Ihn (Jesus) glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben? Mensch, ich Glaube doch an Jesus! Und hier steht, auf das alle, die an Jesus glauben das ewige Leben haben! Ja, dann habe ich ja das ewige Leben. Ich habe es, weil ich an Jesus Glaube. In Jörg wurde es plötzlich strahlend hell. Ihm ging nicht nur ein Licht auf, ihm gingen tausend Lichter auf. Mehr noch: Ihm ging das Licht des Lebens auf, nämlich Jesus selbst.
Es fiel wie Schuppen von seinen Augen. Plötzlich wich alle Furcht vor der Verlorenheit von ihm und eine tiefe, nie gekannte Freude erfüllte sein Herz. Mit einem Mal wusste Jörg ganz tief in seinem Herzen, dass er das ewige Leben hat, durch den Glauben an Jesus. Und wieder hätten tausend Leute ihm nun sagen können: Jörg, du spinnst ja, wie kannst du so etwas wissen? Niemand hätte ihm diese Gewissheit ausreden können, denn Gott selbst hatte es ihm durch sein Wort gesagt.
Jörg wurde so froh, dass er vor Freude weinte. Er wusste: Jesus selbst war in sein Zimmer getreten und hatte ihn angerührt. Er hatte ihm das Verständnis für die Schrift geöffnet, so wie er es einst bei den verzweifelten Jüngern auf dem Wege nach Emmaus tat. Immer und immer wieder löste Johannes 3, Vers 16 eine große innere Freude in ihm aus: „auf das alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben“! Ich habe das ewige Leben, denn ich Glaube an Jesus!
Dieser Glaube war nicht nur irgendwie in seinem Kopf. Nein, er war ganz tief in seinem Herzen. Jörg wusste, dass Jesus selbst in sein Leben gekommen war und, dass er, der Herr seines Lebens war und sein wollte. So trennte er sich mit einem Mal von Dingen, die er bisher für ‚ganz normal‘ gehalten hatte, die vor Gott aber keinen Bestand haben. Jetzt erkannte er, dass sie zu einem Leben mit Jesus nicht mehr passten. Ja, ihm wurde bewusst, dass er manches, was er früher so trieb, in Wirklichkeit nicht glücklicher, sondern nur unglücklicher gemacht hatte, und er war froh, dass Jesus ihn nun Schritt für Schritt davon befreite. Dinge, die er früher festhielt, weil er glaubte, ohne sie nicht leben zu können, konnte er nun durch die Kraft Jesu Christi loslassen, denn er hatte Größeres empfangen. Der Glaube an Jesus bewirkte in ihm eine völlige Veränderung.
Diese Veränderung fiel auch seinen Kollegen auf, und er erzählte ihnen, wie er Jesus gefunden hatte und wie Gott zu ihm durch die Bibel sprach. Wie er ihm durch sein Wort Gewissheit über das ewige Leben schenkte. Manche seiner Kollegen waren tief beeindruckt. Dass eine unwahrscheinliche Freude aus seinen Augen strahlte, die sie früher bei ihm so nicht wahrnahmen, war offensichtlich und nicht wegzuleugnen. Auch seine neuapostolische Freundin nahm diese Veränderung an ihm wahr und wunderte sich sehr über ihn.
Silke fragte: „Jörg, was ist mit dir geschehen? Du bist ja so verändert“. Und Jörg erzählte ihr, wie Jesus ihm begegnet ist und wie Gott ihm durch sein Wort Gewissheit über das ewige Leben geschenkt hat. Doch Silke bestritt, dass er das ewige Leben allein durch den Glauben an Jesus bekommen könnte. Sie sagte, dass wir das ewige Leben nicht ohne den Dienst der Apostel erhalten können. „Aber ich habe doch das ewige Leben durch den Dienst eines Apostels erhalten, liebe Silke“, entgegnete ihr Jörg und fügte hinzu: „Durch den Dienst des Apostels Johannes! Er teilte uns im Auftrage Gottes schriftlich mit, dass jeder, der an Jesus glaubt, das ewige Leben hat“!
Silke sah, dass etwas Gewaltiges mit Jörg geschehen war, dass er erfüllt war von einer tiefen Freude und Gewissheit über das ewige Leben. Eine Gewissheit und Freude, die sie selbst so nicht hatte. Und doch, sie konnte diese Freude mit Jörg nicht teilen, ja, sie stellte sie sogar infrage. Silke war geprägt von der Lehre ihrer Neuapostolischen Kirche. Man hatte ihr von Kindesbeinen an erzählt, dass ohne den Dienst lebender Apostel kein Heil möglich sei. Sie sah, dass Jörg ihr weit im Glauben vorauseilte, und das in so kurzer Zeit.
Sie konnte aber seine Freude nicht verstehen noch einordnen, denn sie war gefangen im Netz einer unbiblischen Lehre, sie war gefangen im Netz ihrer Apostel.
© Anselm Schönfeld
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