Im Dezember 1862 wurde Geyer von seinem Dienst als Prophet der Katholisch-Apostolischen Gemeinden suspendiert. Auch die Sache mit Rosochacky war inzwischen bekannt geworden, und es kam nun zum Beginn der späteren Neuapostolischen Bewegung in Hamburg ab 1862. Die Hamburger Gemeinde ist praktisch die Kernzelle, aus der dann auch die Neuapostolische Bewegung hervorwuchs. 1862 zählte sie ungefähr 150 Mitglieder und stand unter der Leitung des Bischofs oder Engels Friedrich Wilhelm Schwarz (oft auch „Schwartz“ geschrieben). Der wiederum war dem Berliner Bischof oder Engel Carl Rothe unterstellt.
Geyer informierte Schwarz im Dezember 1862 mit einem Brief über seine Entlassung und teilte nun auch Schwarz die Berufung Rosochackys zum Apostel mit. Schwarz ließ daraufhin Rosochacky und Geyer nach Hamburg zu sich kommen und stellte sie am 4. Januar 1863 vor die versammelte Gemeinde. Schwarz legte sein Bischofsamt unter dem Engel Rothe nieder und nahm Rosochacky als seinen Apostel an, dem er sich nun unterstellte. Er entzog sich also seinem Vorsitzenden in Berlin, dem dortigen Bischof und setzte sich selber unter den von Geyer berufenen Apostel Rosochacky. Schwarz fragte die Hamburger Gemeinde: „Wer diesen Bruder als Apostel annehmen will, der stehe auf!“ Alle erhoben sich, bis auf fünf Glieder. (28) Rosochacky nun hob die Exkommunikation Geyers auf und setzte alle Amtsträger wieder in ihre Ämter ein.
Und nun reiste der Berliner Engel oder Bischof Rothe nach Hamburg. Man wollte ihm den Zugang zum Versammlungshaus verwehren, da seine Autorität für die Hamburger Gemeinde ja beendet sei. Aber er ging trotzdem hinein und erklärte alle Gottesdienste und Berufungen für null und nichtig. Aufschlussreich ist nun, was Rothe zu den Hamburger Vorgängen sagte:
„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Was ist die Frucht dieser neuen Apostel und Propheten? Das Fleisch hat durch sie erlangt, was es begehrte. Sie haben sich gegenseitig mit Würden beschenkt und der Gemeinde mit großen Dingen geschmeichelt. Obwohl sie heuchlerisch vorgeben, sich nicht von den bisherigen Ordnungen des Herrn trennen zu wollen, haben sie sich tatsächlich geschieden, ja gegen dieselben empört. Unter der Decke der Heimlichkeit, der Lüge und List ist dieses neue Apostel- und Prophetentum in die Erscheinung getreten. Was wird sein Ende sein? Der Herr wird sie richten.“ (29)
Dies sagt also Rothe über die Entstehung dieser Vorläuferbewegung der Neuapostolischen. Wir sollten auch heute die damaligen Diskussionen bedenken.
Nun allerdings kam es zu einem weiteren Schlag für Schwarz und Geyer: Rosochacky schwenkte um. Der erstgerufene Apostel nach den von Geyer vorgeschlagenen und wieder fallengelassenen Amtsträgern Caird und Böhm legte sein Apostelamt nieder – und zwar beeinflußt von seiner Frau und den Amtsträgern in Königsberg. Nachdem er dorthin zurückgekehrt war, redeten diese ihm seine Berufung durch Geyer aus und sagten, er solle sich doch weiterhin der Autorität der englischen Apostel unterstellen. Das, was da heimlich geschehen sei, sei nicht richtig und er sei ein Opfer teuflischer Verführungskünste geworden.
In einem Brief vom 17. Januar 1863 bereits teilte er Schwarz in der Hamburger Gemeinde seinen Widerruf mit. Er schrieb:
„Als die Gemeinde zu Hamburg die Kunde vernahm, dass ein weiterer Apostel berufen sei, da war ihre erste Tat Empörung gegen die ihr von Gott gegebene Ordnung. Unmöglich war dies ein Wirken des Heiligen Geistes. … Wer hat der Gemeinde das Recht gegeben, mich als Apostel anzuerkennen und als solchen mich zu proklamieren? Wäre meine Berufung eine göttliche gewesen, so hätte kein Widerspruch mit den übrigen Aposteln entstehen können, denn ein Apostel Jesu Christi kann nicht den andern Apostel des Herrn hinauswerfen und absetzen helfen. Geyer war exkommuniziert (also ausgeschlossen), nicht nur aus der Gemeinde zu Berlin, sondern auch aus der Kirche Christi, und als solchem war ihm alle Befugnis und alle Befähigung genommen, eine Aussonderung sowohl als auch die Berufung einer Gemeinde auszusprechen. Der Heilige Geist hat ihn in seinem Zustand nicht geleitet.“ (30)
Nach dieser Widerrufserklärung wurde Rosochacky wieder in die Katholisch-Apostolische Gemeinde aufgenommen, und zwar am 5. April 1863, bereits einen Monat später, und bald darauf zum Bischof oder Engel geweiht.
Nun waren Geyer, Schwarz und die Hamburger in einer schwierigen Lage. Man suchte zunächst wieder Anschluss an die Berliner Gemeinde, aber das amtliche Verfahren gegen Geyer und Schwarz war bereits eingeleitet. Nach Geyer wurde jetzt auch Schwarz exkommuniziert. Woodhouse exkommunizierte Geyer und Schwarz zunächst inoffiziell in der Sakristei der Berliner Gemeinde und dann auch offiziell in einem Brief vom 6. Februar 1863, adressiert an die Hamburger Gemeinde, was nun auch die formelle Trennung und – man kann sagen – die Geburtsstunde der neuapostolischen Richtung bedeutet hat. Dieser Ausschlußbrief hat die Trennung offiziell besiegelt.
Nun ging die Hamburger Gemeinde unter Schwarz und Geyer ihren eigenen Weg. In Abwesenheit Geyers wurde durch einen Diakon prophetisch der Hamburger Priester Carl Wilhelm Preuß zum Apostel berufen. Geyer allerdings hatte nachher große Probleme gerade mit diesem Preuß, den er selber gar nicht berufen hatte. Es gab also auch in der neuen Gruppe von Anfang an Spannungen, sodass Geyer sogar sagen konnte:
„ … Ich konnte geschehene Dinge nicht ungeschehen machen. Es war im Wege der Unordnung geschehen, so wie Ruben seines Vaters Jacob Bette bestiegen, so konnte auch ich ein solch uneheliches Kind nicht tödten (sic!). Wir mussten nun unser Schicksal tragen, bis am 25. Juli 1878 dieser Bruder Preuß starb. Ich schweige von all dem Leiden, welches uns während der Zeit widerfuhr.“ (31)
Man bemerkt das Menschlich-Allzumenschliche dieser „Apostelberufungen“ überdeutlich. Ein „uneheliches Kind“, das man am liebsten „töten“ würde – so drückt Geyer sich über den ersten Apostel aus, der in seiner Abwesenheit berufen wurde! Er musste ihn dann zähneknirschend anerkennen.
Preuß, ein Tischlergeselle aus Matzdorf, der 1854 in Berlin zum Priester der katholisch-apostolischen Gemeinden geweiht worden war, war nun berufen als Apostel für Norddeutschland und Skandinavien, den Stamm Ephraim. Als Apostel stand er im Schatten von Geyer. Wie hieß denn jetzt diese selbständig gewordene Hamburger Gemeinde? Sie nannte sich zunächst „Allgemeine Apostolische Gemeinde“ und bald darauf, noch in den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, „Allgemeine Christliche Apostolische Mission“. Friedrich Wilhelm Schwarz reiste später nach Amsterdam in Holland aus. Dort missionierte er und gründete die „Apostolische Zendings Gemeemte“ („Apostolische Missionsgemeinde“).
Am 30. Oktober 1864 wurden von Geyer weitere Apostelberufungen vorgenommen, um die Sechszahl zunächst einmal vollzumachen. Der Kohlenmakler Peter Wilhelm Louis Stechmann wurde Apostel für Ungarn, der Schlosser Johann Christoph Leonhard Hohl Apostel für Hessen, der Korbmacher, Lehrer und Polizeiwächter Heinrich Ferdinand Hoppe Apostel mit dem Ziel für USA, der Schuhmacher und Porzellanhändler Johann August Ludwig Bösecke Apostel für Schlesien …
Am zweiten Pfingstfeiertag 1863 wurde Schwarz selber zum Apostel berufen, und zwar nicht nur durch Heinrich Geyer, sondern durch „viele weissagende Gotteskinder“ aus der Gemeinde, wie es in einer neuapostolischen Schrift (32) heißt. Und warum wird in dieser Schrift betont, dass Schwarz nicht nur durch Geyer berufen worden ist? Weil Geyer sich später von der neuapostolischen Entwicklung getrennt hat. Also ist es den heutigen Neuapostolischen wichtig zu betonen, dass nicht nur Geyer, sondern auch andere Friedrich Wilhelm Schwarz berufen haben, der als erster führender Vertreter der neuapostolischen Bewegung angesehen wird.
Zwischen Geyer und dem unabhängig von ihm berufenen Apostel Preuß kam es übrigens aus vier Gründen zu Spannungen und später auch zur Spaltung. Damit müssen wir uns jetzt beschäftigen.
Wie kam es zur Spaltung zwischen Geyer auf der einen Seite und Schwarz sowie dem späteren einflussreichen Apostel und ersten Stammapostel Fritz Krebs auf der anderen Seite?
Am 31. März 1878 berief Geyer in Abwesenheit und ohne Kenntnis des todkranken Apostels Preuß bereits dessen Nachfolger in einem Gottesdienst, nämlich den Kohlenhändler Johann Friedrich Güldner als Apostel für Norddeutschland und Skandinavien. Kurz darauf starb Preuß. Aber nun hatte sich eine starke Oppositionsgruppe gegen Geyer und den von ihm berufenen Apostel Güldner gebildet. Es kam zum offenen Austrag dieser Differenzen in einem sogenannten Gottesdienst am 4. August 1878, wo es tumultartige Vorgänge gab. Und zwar widersprach eine starke Gemeindegruppe der Einsetzung Güldners zum Apostel durch Geyer. Diese Oppositionsgruppe wurde von dem Hirten Eduard Wichmann geführt, den Preuß noch auf seinem Sterbebett als Nachfolger eingesetzt hatte. Die rechte Hand Wichmanns war der spätere einflussreichste Mann der Neuapostolischen Bewegung, Fritz Krebs. Die Folge war, dass Wichmann Geyer für abgesetzt erklärte. Daraufhin verließ Geyer, allerdings mit dem größten Teil der Gemeinde, den Saal und es kam zur Trennung.
Aus der Hamburger Restgemeinde, die blieb, ging die Neuapostolische Gemeinde hervor (sie trug zunächst den Namen „Allgemeine Apostolische Mission“). Der größere Teil der Gemeinde aber hatte sich vorher abgetrennt. Geyer hat dann wieder eine eigene Gemeinde gegründet, die den Namen „Allgemeine Christliche Apostolische Mission“ beibehielt. Es ist aufschlussreich, dass Güldner, der von Geyer berufene Apostel, aber auch Wichmann, im Apostelverzeichnis der Neuapostolischen Kirche nicht geführt werden. Die von Geyer und Güldner geleitete Gruppe konnte sich einige Jahrzehnte (namentlich bis Geyers Tod im Jahre 1896) halten und sogar Zuwachs verzeichnen, ging dann aber kontinuierlich zurück. Heute ist sie ausgestorben.
Wichtig ist nun aber die Tatsache, dass Geyer mit seinen Anhängern historisch eine Zwischenposition einnimmt, und zwar steht er mit seiner „Allgemeinen Christlichen Apostolischen Mission“ zwischen Katholisch-Apostolischer Kirche und Neuapostolischer Kirche.
Nun wollen wir einige Zitate aus der Sicht der heutigen Neuapostolischen Kirche zu diesen Vorgängen hören. In der Biografie über Fritz Krebs heißt es, dass Apostel Preuß, gerade 51 Jahre alt, kurz vorher seine Frau verloren hatte und dass ihn das sehr bedrückte; zudem litt er an Magenkrebs. Dann wird ausgeführt:
„Apostel Preuß sorgte sich aus gutem Grund. Heinrich Geyer, der Prophet, hatte in den letzten Jahren einen Weg eingeschlagen, der ihn vom Werk Gottes fortführte. Dieser Mann, dem der liebe Gott eine so wertvolle Gabe anvertraut hatte, war zunehmend hochmütig geworden und meinte, vieles anders und besser machen zu können als sein Apostel. Er hielt Louis Preuß´ Duldsamkeit für Schwäche, seine Demut und Bescheidenheit für mangelndes Durchsetzungsvermögen, seine gläubige Einfalt für ein Zeichen geringen Verstandes. Heinrich Geyer war schließlich zu der Ansicht gelangt, er als Prophet müsse über einem solchen Apostel stehen, da nur ihm allein die Macht gegeben sei, Ämter zu berufen – eine Meinung, die leider auch vor und nach ihm etliche Propheten teilten.
Gewiss wird der Apostel immer wieder versucht haben, Heinrich Geyer von diesem gefahrvollen Weg abzubringen. Aber die Kluft zwischen ihnen wurde noch tiefer und Geyer begann, gegen seinen Apostel zu intrigieren. So suchte er Gleichgesinnte, die in seiner Prophetengabe das wichtigste Amt innerhalb der Gemeinde sahen … Vor seinem Tod hatte Apostel Preuß noch einmal alles versucht, um die Einheit der Hamburger Gemeinde zu erhalten (aber das ist ihm nicht gelungen). Auf seinem Sterbelager rief er den Ältesten Wichmann zu sich, um ihm, wenn er selbst nicht mehr sein sollte, die Leitung der Gemeinde zu übertragen.“ (33)
Im Folgenden wird bereits Fritz Krebs verklärt, der ja praktisch der einflussreichste Mann der Frühzeit ist:
„Allerdings schwelte es da und dort unter der Oberfläche noch weiter, denn es hatte sich gezeigt, dass sich außer J. F. Güldner auch noch andere Männer der Gemeinde aus eigener Machtvollkommenheit zum Apostel berufen fühlten. Aber Apostel Menkhoff und Fritz Krebs, die im folgenden Jahr besonders eng zusammenarbeiteten, hatten auf alles ein wachsames Auge und konnten solchen Bestrebungen rechtzeitig begegnen … Solange diese beiden Gottesknechte über die Anvertrauten wachten, würde kein fremdes Feuer am Altar des Herrn brennen.“ (34)
Weiterlesen: Friedrich Wilhelm Schwarz und die „Hersteld Apostolische Zending Gemeente“
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